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Sep 14, 2017

Lauschen dem ozeangleichen Lehrer

Lauschen dem ozeangleichen Lehrer –
seine Heiligkeit dem XIV. Dalai Lama
Symposium über Selbstwahrnehmung, Mitgefühl und Gemeinschaft sowie Globale Verantwortung

Reflexion, Kontemplation und Bewusstsein waren die Themen des letzten Symposiums zum Dialog zwischen westlicher wissenschaftlicher und buddhistischer Sicht mit S. H. dem XIV. Dalai Lama (und den Teilnehmer_innen Prof. Gert Scobel, Prof. Dr. Wolf Singer, Dr. Britta Hölzel, Prof. Dr. Lobsang Negi und Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker) am 14.09.2017 in der Jahrhunderthalle in Frankfurt.

Der Dalai Lama sprach davon, welche Aufgabe unser Bewusstsein hat bzw. was unsere derzeitige Lernaufgabe als Mensch ist. Er erklärte, dass wir über ein Kurz- und ein Langzeitbewusstsein verfügen und uns darüber klar werden müssen, welche Auswirkungen unser Tun hat. Er gab ein Beispiel: Wenn ich etwas trinke, dann tue ich das jetzt in diesem Moment. Die Auswirkungen sind für mich essentiell, für die Umwelt minimal. Baue ich einen Brunnen sind die Auswirkungen größer und betreffen womöglich eine größere Umgebung. Eine Balance zwischen dem Kurz- und ein Langzeitbewusstsein zu finden, ist wesentlich – vor allem auf politischer Ebene.

Auch Prof. Dr. Wolf Singer, der renommierte deutsche Neurophysiologe, führte die Teilnehmer_innen durch seine Ansichten zu den Themen des Symposiums. Unsere Gesellschaft sei geprägt von einer „Research Coherent Perception“ – alles, was sich nicht wissenschaftlich herleiten lässt, ist nicht wahr. Das sei das evolutionäre Erbe und das Problem unserer Zeit. Soziale Kompetenzen wurden im evolutionären Verlauf nicht gestärkt, es ging eher darum, die Welt zu entdecken (und zu erobern): „Thrives to explore the world“. Verhalten wurde so egoistisch, der Mensch tat schädliche Dinge, fürsorgliches Verhalten wurde von einem Wettbewerbsverhalten abgelöst. Aus diesem Kontext heraus wurden mental Konstruktionen entwickelt, die zu Bewertung, Moralvorstellungen, Rassismus, Politik etc. führten. Kurzum soziales Verhalten wurde durch normative Systeme geregelt.

Die meisten schrecklichen Dinge, die in der Geschichte und heute passieren, sind legitimiert durch kulturelle Konstrukte. Kulturelle Techniken können diese Grausamkeiten verstärken, genauso wie die guten Taten. Mentale Konstrukte können instrumentalisiert werden. Negatives Verhalten entsteht immer in einem Kontext. Verschiedene Systeme (wirtschaftliche, politische etc.) könnten helfen, diesen kontextuellen Einfluss zu minimieren. Kontemplative Methoden helfen dabei, das Innere zu erkunden und so Konstrukte und Auswirkungen zu reflektieren.

Die Humanistische Aufklärung hat dem Menschen Veränderungen gebracht. Wir erlernten hier, besser auf uns zu achten – auf unsere inneren Konstruktionen zu schauen. Wie könnten wir fortdauernd die Verantwortung jeder einzelnen Person stärken? Aus Singers Sicht muss Veränderung auf vielen Ebenen erfolgen – eine Veränderung hin zu einer nicht-rationalen Kommunikation, zu künstlerischen Kompetenzen, einer Balance zwischen rationalen und emotionalen Ebenen, zur Selbsterfahrung. Präge den Charakter durch eine gute Erziehung und nicht durch Bestrafung. So können Interferenzen zwischen der Architektur unserer Gehirne reduziert werden, die durch Interventionen und Erziehung auch verändert werden kann. Das Gehirn muss sich an das System anpassen, nachdem ein Baby geboren ist. Dieses System sollten wir hinterfragen.

Prof. Gert Scobel schloss sich mit seinen Ansichten an, die ich hier kurz zusammenfasse. Aus seiner Sicht befinden sich Menschen schon immer in Abhängigkeiten zueinander und zu einer höheren Instanz. Das war in Indien, im alten Griechenland, in Persien so und ist auch im Buddhismus nicht anders. Die Griechen sprachen von Enlightment als Bild der Ablösung von Abhängigkeiten (von Menschen, aber auch von Gott). Später begann in Europa die Säkularisierung mit der Aufklärung, Religion und Staat wurden getrennt. Vorher schon stiegen die Wissenschaften zur Superdisziplin auf, was aber nicht bedeutet, dass Religion vernichtet wurde. Sie konnte weiterbestehen und sich vielfältig ausbilden. Der kanadische Philosoph Charles Taylor spricht von einem spirituellen Super-Nova-Effekt (Der Westen befinde sich inzwischen in einem «Zeitalter der Authentizität», in dem jeder seine eigenen spirituellen Wege suche. > NZZ, 14.8.2008). Schon Freud und Darwin sprachen dann davon, dass es mehr gibt als wir sehen können. Vor 15 Jahren traute sich kein Wissenschaftler_in zu sagen, dass er mit dem Dalai Lama spräche oder meditieren würde, es war schlecht für die Karriere. Heute ist es en vogue.

Scobel sieht uns als digitale Arbeiter, die von der Entfremdung bedroht sind. Er stellt den Vergleich zu den Menschen, die in Auschwitz waren. Menschen werden wieder zur Wahre, sie werden digitale Arbeiter. Alle arbeiten (zum Teil umsonst) für beispielsweise facebook. Oder es werden Dinge (und Informationen) gedankenlos konsumiert und wir arbeiten so für andere und müssen dafür z. T. auch noch bezahlen. Also eine Art „Hippster way of enter the world“ – via Internet in die Matrix.

Wir sollten unser Leben neu starten, einer Entfremdung wie Karl Marx sie nannte, umgehen. Die Wissenschaft diskutiere Komplexität, die Dynamiken der Vernetzung seien aber nicht vorhersehbar. Daher bräuchten wir Ethik mehr denn je – ethische Haltungen wie wir Probleme zukünftig lösen. Eine deontologische Ethik, also eine Pflichtethik, die neben den Konsequenzen einer Handlung auch Aspekte berücksichtigt, die eine Handlung zu einer richtigen oder der Pflicht entsprechenden Handlung machen. Denn wir sind soziale Wesen. So können Aktionen immer gut und schlecht zur gleichen Zeit sein. Es hängt immer vom Kontext ab.

Scobel erwähnt eine Aussage von Marcel Reich-Ranicki: Goethe zu lesen, hat uns nicht vor den Nazis bewahrt. Obwohl wir hoch ausgebildet sind, kann so etwas wieder passieren. Es gibt immer innere und äußere Gruppen. Scobel erwähnt auch Erkenntnisse von Jane Goodall: Schimpansen sind brutal, sie bilden nachweislich beim Töten Oxytocin. Das gleiche Hormon, welches für den Geburtsprozess so wichtig ist. Wir sehen, auch in der Natur liegt gut und schlecht nah beieinander. Nur kritisches Denken und Methoden der Selbstreflexion können den Menschen zu ethischem Handeln verhelfen, ist das Fazit aller Referenten_in.

Bei dieser Veranstaltung wurde deutlich, dass ein Dialog über (Selbst-)Wahrnehmung und Mitgefühl im wissenschaftlichen Kontext erst seit kurzer Zeit überhaupt „gesellschaftsfähig“ geworden ist: „Vor zehn Jahren war das undenkbar.“ sprach Prof. Gert Scobel. Mitgefühl, Kontemplation und Achtsamkeit sind im wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kontext angekommen. Und das ist gut so.

Der Dalai Lama äußert sich abschließend zu der Frage, was Ethik sei, so: „Every action that brings happiness to others is ethics.” Und: Die meisten Religionen haben ein ähnliches Ziel, sie schauen alle nach der Liebe.

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